Wie ein Schlangenbaby mich fast das Augenlicht gekostet hätte
Sonntagmorgen 7 Uhr: Ich bin mit meinem gelben Rennrad auf den Straßen außerhalb Kapstadts unterwegs, genieße die frische Meeresbrise, den Sonnenschein und die Natur, als da plötzlich vor mir eine kleine Schlange versucht die Straße zu queren.
Und sie ist wirklich klein. Wir sprechen hier von 15-20 cm. Also muss sie noch ein völlig unerfahrenes Baby sein, schlussfolgere ich. Und im nächsten Moment kommt mir der Gedanke, dass sie dann dringend meinen Schutz braucht. Denn so eine kleine Babyschlange kann natürlich noch nicht wissen, dass eine so große und befahrende Straße eine tödliche Gefahr für sie ist.
Ich springe noch im gleichen Moment vom Rad, denn meine Mission ist klar: Rette die Schlange!
Aber erst mal ein Stöckchen suchen, mit dem ich sie rum tragen kann, denn so gerne ich alle Tiere habe, Regenwürmer und Schlangen fasse ich nicht an. Die haben kein Fell, die sind ergo nackt und wer will nackt denn schon betatscht werden? Ich nicht, also die Tiere auch nicht. Logisch, oder?
Mein Stöckchen ist gerade so groß wie das Tierchen. Um sie nicht zu erschrecken nähere ich mich behutsam und mit Bedacht. Aber die Kleine ist wachsam und hält von meinem Umsiedlungsversuch nicht allzu viel. Sie kringelt sich ein und stellt sich auf! Wie niedlich. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich ja hier in Südafrika noch nie einer Schlange begegnet bin. Ergo brauche ich ein Foto, um diesen denkwürdigen Moment festzuhalten. Und das würde der Kleinen auch etwas Zeit geben sich an mich zu gewöhnen und sich zu beruhigen.
Also Handy gezückt, flach auf den Boden gelegt und nun emsig daran gearbeitet ein dramatisches Bild zu inszenieren. Einfach nur von oben fotografieren wäre ja zu langweilig. So hab ich einen phantastischen Winkel, die Kleine ist zudem vom Sonnenlicht perfekt ausgeleuchtet und etwas Hintergrund bildet den perfekten Rahmen. Nur mit dem Lächeln will es nicht hinhauen. Um ehrlich zu sein, modelt sie wohl nicht gerne. Sie rollt sich wieder zusammen und stellt sich drohend vor meine Linse. Hmmm! Ich sollte das mit dem kleinen Stöckchen wohl besser noch mal überdenken. Denn freiwillig wird sie sich von mir sicherlich nicht ins rettende Gras rüber tragen lassen.
Aber find mal einen großen Stock, in einer Grasslandschaft. Als ich kurze Zeit später mit meinem nun 80cm langen Rettungsgehölzt zur Straße zurück kehre, sehe ich gerade noch, wie die Kleine am Straßenrand ins Gras huscht. Ok, sie hat es von alleine geschnallt, dass die Straße kein Spielplatz für sie ist, dann hat sich mein Einsatz ja doch gelohnt. Mission „Rette die Schlange vom drohenden Verkehrstod“ also erfolgreich gemeistert. Sogar mit Lerneffekt für die Schlange. Ein herrliches Gefühl.
Zufrieden radel ich nach Hause und zeige die Bilder am Nachmittag meiner südafrikanischen Freundin Nicola und ihrer Familie. Denn ich hab ja schließlich meine erste Schlange gesehen und vielleicht kennen sie sich mit ihren heimischen Tieren aus und können mich aufklären, welcher Spezies sie angehört.
Stolz präsentiere ich mein Foto, als es um mich herum plötzlich ganz still wird. Nicolas Dad spingt auf, eilt zum Regal, blättert wie wild in einem Tierbestimmungsbuch und kommt dann mit weit aufgerissenen Augen zu mir. Kurz diskutieren sie noch in africaans, um mir dann mit voller Dramatik mitzuteilen: „Marleen (so heiße ich in Südafrika), Du hast da eine Cape Cobra vor Dir gehabt!“ „Ja und was ist daran so dramatisch?“ antworte ich gelassen. „Das war doch eine Babyschlange, die können doch noch nichts Böses.“ Kopfschnüttelnd, verwundert und fast schon belustigt, über ihre deutsche Freundin, sehen mich alle drei ein. „Leute, was ist denn? Sind Babys etwa nicht harmlos?“ Das mir in dem Moment keiner über den Kopf streichelt, wie bei einem Kleinkind, grenzt an ein Wunder. Ich sehe ihnen an, dass ihnen danach gewesen wäre! Nicola klärt mich auf, dass auch die ganz kleinen Cobras schon Gift spucken können. „Wie Gift spucken?“ – frage ich mit großen Augen. „Naja, sie richten sich auf und spucken Dir in die Augen. Das kann zu Erblingung führen.“ „Oh“ Nun muss ich schlucken. „Aber die war so niedlich und schutzlos, die kann doch nicht… ” stottere ich vor mich hin. „Doch sie kann und Du hast einfach nur riesiges Glück gehabt, dass sie es nicht auch gemacht hat.“ „Du solltest etwas vorsichtiger sein, meine Liebe. “Gott hat vielleicht nicht immer so viel Zeit, Dich zu retten“ gibt nun die streng gläubige Mutter von Nicola zu bedenken. Ich schlucke und nicke eifrig, während ich mir die Abbildung und den Text im Buch noch mal ganz genau ansehe.
Tja, das hätte wirklich ins Auge gehen können, mein Babyschlangenrettungsversuch. Beim nächsten Mal nehm ich garantiert gleich den großen Stock verspreche ich, während alle in schallendes Gelächter ausbrechen.